Der Duft der Königin und seine Bedeutung


Einleitung:

Die hochkomplexe Gesellschaft der Ameisen wird nicht durch Sehen oder Sprache, sondern fast ausschließlich durch Duftstoffe und den Koloniegeruch gesteuert. Diese Duftstoffe, sogenannte Pheromone, sind für Ameisen unerlässlich, um miteinander zu kommunizieren und sich zu orientieren. Sie dienen der Identifizierung von Koloniemitgliedern, dem Anlegen von Duftspuren zu Futterquellen und der Alarmierung bei Gefahr.

Ameisen riechen mit ihren Fühlern. Diese sind mit vielen Geruchssensoren ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, Duftstoffe, Pheromone und andere chemische Signale wahrzunehmen.


Der Nestgeruch:

Makroaufnahme einer Roten Waldameise
Rote Waldameise

Der sogenannte Nestgeruch ist das wichtigste Erkennungsmerkmal und die "Visitenkarte" jedes Ameisenstaates. Die Königin ist dabei die zentrale Duftquelle des Volkes. Dieser Duft wird über spezielle Hautdrüsen der Königin freigesetzt, ist hochindividuell und in jedem Nest anders. Er dient den Nestbewohnern als eine Art Passierschein und hilft den Ameisen zu erkennen, wer zur eigenen Kolonie gehört und wer ein Fremder ist. Fremde Ameisen ohne den richtigen Duft werden angegriffen.

Über die Arbeiterinnen aus der unmittelbaren Umgebung der Königin gelangt der Nestduft nach und nach von den Arbeiterinnen, die ständig Kontakt zur Königin haben, auch zu den Arbeiterinnen, die überwiegend außerhalb des Nestes unterwegs sind. Die Weitergabe des Duftes erfolgt durch gegenseitiges Belecken, Betasten und beim Austausch von Nahrung. Die Konzentration des Duftes schwächt sich also von der Königin zu den "Außendienstlern" immer weiter ab. Der Futterstrom verläuft in der umgekehrten Richtung: Die Außendienstler geben Nahrung an die Innendienstler weiter, und diese gelangt letztendlich zu den Arbeiterinnen, die die Königin mit Nahrung versorgen.



Die Macht der Königin-Pheromone

Neben der Erkennung von "Freunden" haben die Königinnen-Pheromone aber noch weitere bedeutende Funktionen, die es der Königin ermöglichen, ihre Herrschaft zu sichern und die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten:

- Diese Duftstoffe der Königin sorgen dafür, dass die Arbeiterinnen sie pflegen, ihre Eier abnehmen und sich um sie kümmern. Sie hemmen auch Aggression gegen die Königin.

- Der Königinnen-Duft hat eine hemmende Wirkung auf die Arbeiterinnen. Solange er wahrgenommen wird, bleiben die weiblichen Arbeiterinnen unfruchtbar und können keine eigenen Eier legen.

Waldameisen bei der Übergabe von Nahrung
Waldameise beim der Übegabe von Nahrung

Der Koloniegeruch ist dynamisch. Er ändert sich bereits, wenn Arbeiterinnen nur wenige Tage isoliert sind. Nach einigen Wochen der Trennung können sie von ihren einstigen Nestgenossinnen als fremd angesehen und angegriffen werden. Ursache sind sich verändernde Nahrung und die Zusammensetzung des Nestbaumaterials. Der ständige Kontakt der Ameisen untereinander garantiert, dass jedes Tier die aktuelle Duftmarke trägt.

Die Attraktivität des Nestduftes unterscheidet sich bei den Formica von Art zu Art. Am stärksten und dominantesten ist er bei den (meist) monogynen Großen Roten Waldameisen und am schwächsten bei der Kleinen Roten Waldameise (polygyn). Die anderen Arten der Formica-Gruppe, ob monogyn oder schwach polygyn, liegen dazwischen.

Dabei steht die Eiproduktion der einzelnen Arten in Beziehung zur Duftdominanz. Die monogynen Rufa-Königinnen legen bis zu 300 Eier, während eine Polyctena-Königin nur 10 Eier pro Tag legt.

Dieser Unterschied in der Duftdominanz kann einige interessante Folgen für die einzelnen Arten haben:

Bei der Kleinen Roten Waldameise (Formica polyctena) mit einem weniger dominanten Nestduft können viele Königinnen die Nester bewohnen, die nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Auch werden im begrenzten Umfang begattete Königinnen auf und im Nest akzeptiert und aufgenommen. Diese Aufnahme von Jungköniginnen ermöglicht dem Volk theoretisch, über einen sehr langen Zeitraum zu existieren.

Bei den Großen Roten Waldameisen (Formica Rufa) wird in der Regel nur eine Königin im Nest akzeptiert. Auch duldet die Art keine begattete Rufa-Königin aus dem eigenen oder fremden Nestern auf dem eigenen Nest. Das hat zur Folge, dass das Volk nach dem Tod der Königin normalerweise nach wenigen Jahren verloren ist.

Es kann aber auch anders kommen: Mit dem Tod der Königin geht auch der spezielle Nestduft verloren. In dem nun geruchlosen Nest kann es zur Adoption einer Königin der Kleinen Roten Waldameisen kommen. Was dazu führt, dass ein Gebiet der Großen Roten Waldameise in den Besitz der Kleinen Roten Waldameise übergeht.

Puppen und Larven haben keinen oder nur einen geringen Nestduft. Geschlüpfte Arbeiterinnen haben erst nach zwei bis drei Wochen ihr "Duftkostüm".


Duftstoffe und invasive Arten

Die chemische Erkennung spielt eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung von Invasiven Arten:

- Toleranz der Superkolonien: Invasive Ameisenarten wie zum Beispiel die Große Drüsenameise (Tapinoma magnum) sind besonders erfolgreich, da ihre Arbeiterinnen viele Königinnen akzeptieren, selbst wenn diese aus verschiedenen Nestern stammen. Sie bilden riesige, zusammenhängende Superkolonien, in denen die strenge Unterscheidung zwischen "eigen" und "fremd" größtenteils aufgehoben ist.


Wenn der Nestduft zum Problem wird

Ausnutzung durch Parasiten: Eine große Anzahl von Sozialparasiten und Ameisengästen nutzen das Duft-System aus. Sie können den Koloniegeruch vortäuschen (Gestaltgeruch) oder das Fehlen eines Geruchs bei der Brut nutzen, um in Nester einzudringen und dort zu überleben. Nicht selten geht das auf Kosten der Ameisen und ihrer Brut.


Zusammenfassend lässt sich sagen:

Die Welt der Ameisen ist stark von chemischer Kommunikation geprägt. Duftstoffe regeln alles, von der Identität des Volkes über die Rangordnung und Fruchtbarkeit bis hin zur Alarmreaktion bei Gefahr. Sie sind das unsichtbare Steuerungssystem ihrer komplexen Gesellschaft.


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Interessante links :

- Duftkommunikation in der Ameisenkolonie Freund oder Feind? von Prof. Dr. Patrizia d'Ettorre, Dr. Giovanni Galizia


Literaturquellen:

- Karl Gösswald "Die Waldameise - Biologie,Ökologie und forstliche Nutzung"

- Dieter Otto "Die roten Waldameisen: Formica rufa und Formica polyctena"


Letzte Änderung am 14.10.2025