Stellen sie sich vor, Sie arbeiten im Finanzamt einer Großstadt und Ihr Büro befindet sich im vierten Stock eines Bürogebäudes. Nach einem langen, anstrengenden Tag sind Sie auf dem Weg zum Bus, als sie bemerken, dass Sie etwas im Büro vergessen haben. Inzwischen ist es dunkel geworden und die Beleuchtung im Gebäude ist ausgefallen. Nun müssen sie ihr Büro bei völliger Dunkelheit finden.
Oder sie parken auf einem abgelegenen Parkplatz im Wald und gehen Pilze sammeln. Dabei entfernen sie sich mehrere Kilometer von ihrem Auto und müssen nun den Weg zurück finden. Dummerweise haben sie auch noch ihr Handy im Auto vergessen. Das klingt zunächst einfach, stellt aber sicher den einen oder anderen vor mehr oder weniger große Probleme.
Ameisen arbeiten zwar nicht in Bürogebäuden und gehen nicht in Pilze, aber sie haben ähnliche Probleme, sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden. Die Ameisen müssen sich in den dunklen Gängen ihres Nestes zurechtfinden und nach dem Besuch ihrer Blattlauskolonie oder der Insektenjagd wieder zum Nest zurückfinden
Ameisen besitzen so genannte Facettenaugen, auch Komplexaugen genannt. Das Facettenauge besteht aus vielen Einzelaugen, den sogenannten Ommatidien. Diese können jeweils nur einen Lichtpunkt abbilden. Durch die Krümmung der Augen erfasst jedes einen etwas anderen Bereich. Im Gehirn der Ameisen entsteht dann ein Gesamtbild.
Die Anzahl der Ommatidien (Einzelaugen) kann je nach Ameisenart sehr unterschiedlich sein. Während einige Arten mit nur wenigen auskommen müssen, haben Waldameisen immerhin 600 bis 800 Ommatidien.
Auf der Stirn der Roten Waldameisen befinden sich noch drei Punktaugen (Ocellen), deren Funktion noch nicht abschließend geklärt ist. Man vermutet, dass sie nur der Wahrnehmung von Helligkeitsunterschieden dienen.
Damit ist Sehvermögen der Waldameisen nicht mit dem des Menschen zu vergleichen. Sie sind aber in der Lage, mit ihren Augen ihre Umgebung zumindest schemenhaft wahrzunehmen, wie z.B. Lücken im Blätterdach großer Bäume, Umrisse von Bäumen, größere Steine usw. So prägen sie sich nach und nach ihre Umgebung ein und wagen sich allmählich in größere Entfernungen vor.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Waldameisen in der Lage sind, Farben zu unterscheiden. Das Spektrum reicht vom nahen UV-Bereich bis zu Gelb. Die Farbe Rot können sie, wie auch die Bienen, nicht wahrnehmen. Die Wahrnehmung von Farben liefert natürlich wesentlich mehr Informationen über die Umgebung als Schwarz-Weiß.
Auf der Suche nach lukrativen Nahrungsquellen oder neuen Neststandorten können sie sich durchaus bis zu 100 m vom Nest entfernen. Für die Rückkehr müssen sie nicht einmal denselben Weg nehmen.
Obwohl ihre Augen nicht das beste Sehvermögen haben, können sie etwas, was das menschliche Auge ohne künstliche Hilfsmittel nicht kann. Sie sind in der Lage die Schwingungsrichtung linear polarisierten Lichtes zu sehen.
Bei normalem Licht schwingen die Lichtwellen in alle möglichen Richtungen wild durcheinander. Aber auf dem Weg durch die Atmosphäre wird das Licht der Sonne an Luftmolekülen polarisiert (Rayleigh-Streuung). Das bedeutet die Schwingungsrichtung wird in eine bestimmte Richtung ausgerichtet.
Diese Richtung ändert sich mit dem täglichen Sonnenstand. Berücksichtigt man nun noch den Sonnengang im Tagesverlauf, weiß man auch, in welcher Richtung sich das Nest befindet. Genau diese Eigenschaft des Sonnenlichts können die Ameisen zur Orientierung nutzen.
Neben den Augen werden sie bei der Orientierung von weiteren Organen unterstützt. Die Fühler als echte Multifunktionsorgane mit ihren Tast- und Geruchssensoren spielen dabei eine wichtige Rolle
Feine berührungssensible Tasthaare ermöglichen den Ameisen, den Untergrund wie z.B. Nadelstreu oder Sand und Gegenstände wie Äste, Zapfen und ähnlichen zu ertasten und damit wichtige Informationen über die Umgebung zu sammeln. Auch Luftbewegung können war genommen werden.
Die Fühler sind auch Sitz von Sinnesorganen die das Riechen von Düften ermöglichen. Diese Informationen, die bei der Bewegung über den Waldboden gesammelt werden, können bei der Orientierung hilfreich sein.
Weitere Organe unterstützen die Ameisen bei der Orientierung. So sind sie zum Beispiel auch in der Lage, die Neigung des Geländes zu bestimmen.
In den letzten Jahren konnten Wissenschaftler nachweisen, dass neben vielen anderen Tieren auch Waldameisen das Magnetfeld zur Orientierung nutzen.
Das legen einer Duftspur oder eine Orientierung an Duftspuren spielt eine untergeordnete Rolle. Sie hat vor allem Bedeutung bei Markierung von ergiebigen Nahrungsquellen und Blattlauskolonien.
Auch die Unterscheidung von Nestmitgliedern und Fremdameisen ist mit ihren Riechorganen möglich.
Aus all diesen gespeicherten Informationen muss nun der richtige Weg zurück zum Nest gefunden werden.
Die Augen sind in den dunklen Gängen des Nestes keine Hilfe. Die Arbeiterinnen müssen sich in dem weit verzweigten Gangsystem ihres Nestes in völliger Dunkelheit orientieren. Sie müssen die Wege zu den verschiedenen Nestbereichen wie Brutkammern, Puppenstuben, Königin und anderen Orten kennen, um den optimalen Weg zu finden.
Innerhalb der Nester sind die hochkomplexen Fühler mit ihren bis zu 2000 Tasthaaren und empfindlichen Riechorganen die wichtigsten Organe zur Orientierung im weit verzweigten Gangsystem.
Außerdem besitzen sie Organe zur Bestimmung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Diese sind notwendig, um den Nachwuchs in die für ihn optimalen Nestbereiche zu transportieren. Zur Lagebestimmung im Nest kann auch das Erdmagnetfeld genutzt werden.
Ameisen können die Schwerkraft spüren. Mit Hilfe dieses Organs ist es möglich, die vertikale Richtung zu bestimmen. So können die Ameisen feststellen, ob sie sich im Nest nach oben oder nach unten bewegen.
Aus all diesen Informationen erstellen die Ameisen eine mentale Karte des Nestes die ihnen hilft sich in der Dunkelheit des Nestes zurechtzufinden.
Im Gegensatz zu anderen Ameisenarten sind bei den Waldameisen außerhalb des Nestes die Augen die wichtigsten Orientierungshilfen. Mit ihrer Hilfe prägen sie sich ihre Umgebung ein.
Duftspuren haben außerhalb des Nestes nur eine untergeordnete Bedeutung. Sie dienen aber z.B. der nächtlichen Orientierung und der Markierung besonders ergiebiger Nahrungsplätze.
Im Nest sind die Fühler mit Tasthaaren und Riechorganen von entscheidender Bedeutung. Unterstützt werden sie durch Organe zur Messung von Luftfeuchtigkeit und Temperatur sowie durch die Möglichkeit, das Magnetfeld zur Orientierung zu nutzen.
Dies alles stellt eine bemerkenswerte Gedächtnisleistung der Ameisen dar.
Folgende Organe nutzen die Ameisen zur Orientierung außerhalb des Nestes:
. Augen
. Fühler mit Tast- und Geruchsorganen
. Schwerkraft zur Lagebestimmung
. Magnetfeld
Folgende Organe nutzen die Ameisen zur Orientierung innerhalb des Nestes:
. Fühler mit Tast- und Geruchsorganen
. Schwerkraft zur Lagebestimmung
. Temperaturbestimmung
. Luftfeuchtigkeit
. Bestimmung des CO2 Gehaltes der Luft
. Magnetfeld
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- [1] - Dieter Otto "Die roten Waldameisen: Formica rufa und Formica polyctena"
Letzte Änderung am 24.10.2024 |