Kleine Gans


Einleitung:

Wenn man von der Bastei oder der darunter liegenden Basteibrücke über den imposanten Wehlgrund in nördliche Richtung schaut, erblickt man das Felsmassiv der kleinen Gans. Früher bestand der vordere Gansfelsen aus insgesamt sechs freistehenden Felsen. Bis 1948 existierte zwischen der am weitesten rechts stehenden unteren Felszacke, und dem mächtigen oberen Felsaufbau ein weiterer Gipfel, der sogenannte "obere Ganskopf".

Auf dem historischen Bild sieht man deutlich die drei Gipfel Hinterer, Mittlerer und Vorderer Gansfels und die zur rechten Seite abfallend Oberer, Unterer und den östlicher Ganskopf. Der jetzt fehlende Obere Ganskopf ist mit einem Pfeil markiert.


Der Felssturz:

Vom einstigen Gipfel sind heute nur noch die Reste zu bewundern wie auch die Erinnerung an einen ehemaligen Kletterfelsen. Die meisten Felsstürze und Steinschläge in der Sächsischen Schweiz erfolgen ohne Vorankündigung. Der Abbruch des oberen Ganskopfes kam für viele jedoch nicht überraschend, sondern hatte sich schon Jahre vorher angekündigt.

Gansmassiv vor dem Felssturz
Gansmassiv vor dem Felssturz

Der im Jahre 1905 erstmals bestiegene, zur Gruppe der „Gänse“ gehörende Sandsteinfelsen, „Oberer Ganskopf“, wurde im Jahre 1905 von dem aus dem Zittauer Klettergebiet kommenden 23- jährigen Bergsteiger Hanns Schueller, und dem seit 1902 in Dresden lebenden Amerikaner Oliver Perry- Smith, erstmals bestiegen.

Er wurde auch in den von Rudolf Fehrmann im Jahre 1908 herausgegebenen ersten Kletterführer "Der Bergsteiger in der Sächsischen Schweiz“" aufgenommen. Seit dieser Zeit haben sich Jahr für Jahr Hunderte Bergsteiger auf dem höchsten der Gansköpfe die Hand gegeben. Auch die weit entfernt von ihrer sächsischen Heimat in der Wehrmacht dienenden Bergsteiger nutzten damals die wenigen Urlaubstage, um auf ihre geliebten Felsen zu steigen.

Martin Wächtler, der als Maat, bei der Kriegsmarine diente, suchte mit seinem Bergkameraden im Spätsommer 1944 das Klettergebiet der „Gänse" bei Rathen auf, und machte dabei wiederholt die Feststellung, dass am Kletterfelsen „Oberer Ganskopf“ schwere Schäden zu verzeichnen sind. Martin Wächtler hatte bereits in den 20 er Jahren bei der Besteigung dieses Gipfels mit Bergfreund Karl Ullrich einen gefährlichen lockeren Sandsteinblock losgetreten, der damals im Fall zerstiebte und am Nachbargipfel den unteren Teil des Gühnekamins mit einer Sandschicht Überzuckerte.

Nach 20 Jahren sieht die Sache für die beiden Kletterer viel böser aus. Ein neu entstandener Riss zieht sich quer durch die Aufstiegswand und endet erst tief unter dem großen Überhang des Sandsteinkopfes. Beide stellen fest, dass eines Tages die Gefahr besteht, dass der Kletterfelsen „Oberer Ganskopf“ sein Haupt verlieren wird, weil eine Untermauerung nicht möglich ist und der in den fingerbreiten Riss eindringende Frost das Zerstörungswerk fortsetzen wird. Daraufhin wurde vom Sächsischen Bergsteigerbund wiederholt von einer Besteigung dieses Kletterfelsens abgeraten. In den darauffolgenden vier Jahren wurde nur noch zaghaft an diesem Gipfel geklettert. Die Besteigung gehörte damals einfach noch dazu.

13. April 1948 war es dann soweit, der "Obere Ganskopf" stürzte in die Östliche Talseite ab und zersplitterte sich dabei in viele kleine Teile.

Das im Jahre 1938 gelegte Gipfelbuch ist seit diesem Tag nicht mehr aufgetaucht.


Erosion im Wehlgrund:

Der starke Kletterbetrieb am Fuße des Gansmassives und anderen Teilen der Sächsischen Schweiz ging an der Natur nicht spurlos vorüber. Die zahlreiche immer wieder neu eingetretene Wege beschädigten die dünne den Sand aufliegende Vegetationsschicht. Die so von Pflanzenbewuchs entblößten und geschädigten Bereiche sind der Beginn einer durch starke Niederschläge beginnenden Erosion. Es entstehen dabei die sogenannten Sandreisen.

Nach einem Kletterverbot im Jahre 1908 vor allem im Rathener Gebiet wies der bekannte Bergsteiger Rudolf Fehrmann darauf hin, dass Absperrungen und Verbote nicht die beste Lösung für die Vermeidung von Schäden an der empfindlichen Natur sein können. Er regte an "kleine aber feste Pfade anzulegen, die es den Kletterer ermöglichen, den Fuß der Kletterfelsen zu erreichen, ohne in den davor liegenden Schonungen Schaden anzurichten".[2] In der Folgezeit kam es zu zahlreichen von den Forstbehörden unterstützten Arbeitseinsätzen von Bergsteigern um der zunehmenden Erosion Einhalt zu gebieten. Das kann man als Geburtsstunde der heute noch existierenden markierten Kletterzugänge in der gesamten Sächsischen Schweiz betrachten.

Starke Erosion und Sandreißen machten auch in der Folgezeit immer wieder eine Sanierung des Bereiches notwendig. Dietrich Graf hat diese Arbeiten in seinem Artikel, "Erosionssanierung im Wehlgrund... -ISS Heft 15" aus dem Jahre 1998, sehr eindrucksvoll beschrieben.



Interessantes:

Links vom Gansfelsen befindet sich noch ein weiterer freistehender Gipfel dessen Aussehen nach man auch namensgebend den "Plattenstein" nennt.

Ein beliebter Kletterfelsen westlich des Gansfelsens ist die Wehlnadel. Die Erstbesteigung der Wehlnadel erfolgte ebenfalls durch Oliver Perry-Smith, Rudolf Fehrmann und Hanns Schueller am 09.04.1906. Gegenüber des Gipfels der Wehlnadel befand sich früher eine durch ein Geländer gesicherte Aussicht.


 Seitenanfang


Literaturquellen:

[1] - Richard Vogel - Werte unserer Heimat (Gebiet Königstein)

[2] - Hans Pankotsch - Rudolf Fehrmann 1886-1948 - Aus dem Leben eines bedeutenden sächsischen Bergsteigers


Letzte Änderung am 06.12.2021